Rund um die Sonnenfinsternis 2006

Sonnenfinsternis Nähe Waw an Namus; weitere Beobachtungen diverse Plätze in Süd-Libyen, Provinz Fezzan, 29. 03. 2006

20060329bko00.html

Beobachter:Bernhard Kohmanns
Datum:29. 03. 2006
Ort:Sonnenfinsternis Nähe Waw an Namus; weitere Beobachtungen diverse Plätze in Süd-Libyen, Provinz Fezzan
Instrument:Russentonne MTO 1000 f/10, Fotos Minolta XD-7 28mm bis 200mm
Bedingungen:
Durchsicht:sehr gut (1)
Aufhellung:sehr gut (1)
Seeing:sehr gut (1)
Freis. vis. Grenzgroesse:6.5
Bemerkungen:Wind: nachts und während Totalität sehr schwach bis windstill Windrichtung: Nordost-Passat tagsüber bis 5 Beaufort Temperatur: nachts 20° bis 8°C, tags 25° bis 33°C Luftfeuchte: meist 20 Prozent bis 25 Prozent
Bericht:

Schon beim Hinflug sehen wir am an Backbord auftauchenden Ätna, daß der Pilot brav auf Kurs ist, und Tripolis nicht mehr weit.
Bald danach soll Flugzeugschrott direkt neben der Landebahn jedoch nicht gerade unser Vertrauen in die uns noch bevorstehenden Flugkünste mit der Libyan Arab Airlines wecken.

Doris' "Kuschel-Schaf" fällt gleich am ersten Tag unserem Protein-Bedarf zum Opfer.
Es landet in der Gulasch-Kanone, wo es - mit jedem Aufkochen kaumuskel-freundlicher werdend - unseren allabendlichen Schafs-Gemüse-Eintopf verfeinert.

Der Vulkan Waw-an-Namus (zu deutsch: "Mückenloch") macht seinem Namen alle Ehre.
Die Besteigung der sandigen Krater-Wände bei großer Hitze ist besonders für unsere mitreisenden "Nordlichter" äußerst erschöpfend und erfordert auf die letzten Meter kräftiges Anschieben und -ziehen durch die anderen.

Endlich an der Zentrallinie angekommen. Hier ist die Sahara derart lebensfeindlich, daß sich nicht mal mehr die sonst überall in Afrika in Massen herum schwirrenden Fliegen hertrauen. Am Mars oder Merkur kann's trockener und toter nicht sein.

Die Notdurftverrichtung ist für uns in dem offenen und deckungslosen Gelände ein bissal ungewohnt.
Allmorgendlich schwärmen wir, bewaffnet mit Klopapier und Feuerzeug, sternförmig von unserem Lager in alle Richtungen aus. Die einzige Tarnung ist die Entfernung: wir lassen uns also nicht nieder, bevor wir - vom Lager aus gesehen - die scheinbare Ausdehnung von einer Bogensekunde erreicht haben...

Tag der Sonnenfinsternis. Ran an die Geschütze, hoch die Rohre!

Auf der Rückfahrt von einer makellosen Sonnenfinsternis mit über 4-minütiger Totalität will uns der Vordermann unser inzwischen gewohntes Bad in der Staubwolke mal wieder nicht vorenthalten.

Fahren die da vorn durch einen See? Ach nein, nur eine Fata Morgana. Jetzt fehlt nur noch der Scheinriese Herr Tur Tur...

Beim gemütlichen Beisammensitzen neben einer rund 70m hohen Düne schwärmt unsere Reiseleiterin Christine von Astronomie im allgemeinen und von Roten Riesen, dem Schmuckkästchen (Kappa Crucis) und der Präzession im besonderen. Ich erkläre ihr mit meinem Laser-Pointer den Sternenhimmel, den sie "unpackboa" findet...

Neben der Sonnenfinsternis und dem Neulicht fallen uns Omega Centauri, Kappa Crucis, Eta Carinae und Centaurus A als astronomische High Lights besonders ins Auge, die wir mit unseren maximal 4-zölligen Geräten beobachten, so gut es eben geht.
Das Kreuz des Südens ist in Gänze zu sehen, ebenso Centaurus mit seinem südlichsten hellsten Stern Alpha Centauri.

Wenn diese lieben Tierchen auftauchen, verbietet sich eine Kuschel-Nacht unter dem romantischen Wüstensternenhimmel. Jetzt wissen wir, wozu wir Zelte mitgebracht haben.

Unsere Reise wird immer wieder durch Biesel- und Gebetspausen...

...sowie Pannenreparaturen und Tankstops unterbrochen.

Größere Zwangspausen gibt es durch einen glimpflich verlaufenen Unfall und durch das Verschwinden unseres dauernd stotternden Fahrzeugs, das nur auf 4 statt auf 6 Zylindern läuft und ergo mit den anderen nicht mithalten kann, aus dem Konvoi.

Doris, Roland und ich irren mit unserem ortsunkundigen Fahrer mutterseelenallein kreuz und quer in der Wüste umher, auf der Suche nach den anderen.
So langsam das Schlimmste befürchtend, zählen wir unsere Wasservorräte und halten nach vorbeiziehenden, schmackhaften Nahrungsmitteln Ausschau...mmmhhh...

... wozu die giftigen Wüstenkürbisse allerdings nicht zählen....iiihhh, extrem bitter - pelzige Zunge.

Bei unserem ungewollten Versteckspiel und einem kleinen navigatorischen Treffpunktproblem (hier: Kursberechnung zu einem beweglichen Ziel) hat uns Christine, die uns in höchst unterschiedlichen Azimuten immer wieder am Horizont auftauchen sieht, nach einer wilden Verfolgungsjagd im chaotischen Zickzack-Kurs endlich wieder aufgegabelt.
Zuerst ganz aufgeregt, aber dann doch erleichtert führt sie uns durchs Wadi Mathandusch, wo eine Blaukopf-Agame und ein nigerischer Händler den WAA-Trupp neugierig bestaunen...

...und später durch das bizarr zerklüftete, hyper-erodierte Akakus-Gebirge, das -geologisch gesehen- relativ rasch im Sand ertrinkt. Eine unpackbare Landschaft...

Genau wie manche Leute heute noch, konnten auch schon die vor 10.000 Jahren hier lebenden Garamanthen der Versuchung nicht widerstehen, sich durch geschmackvolle Gravuren und Zeichnungen an diversen Wänden zu verewigen.

Im Umm el Maa, dem größten der Mandara-Seen, treiben Hilmar und ich wie Korken auf dem extrem salzhaltigen, fäulenden,+schlatzigen+ Wasser mit eiskalten Oberflächen-Strömungen, während Doris, die sich jetzt auch rein getraut hat, uns entgegen schreit: "Wos isn dös für a See?", mit den Beinen hoch über der Wasseroberfläche hilflos Schwimmbewegungen vollführend.
Ein weiteres Kuriosum dieses Sees sind die stark unterschiedlich temperierten Wasserschichten, die ein sehr starkes Seeing zum Grund hin zeigen und die sich nicht mischen: während man am Oberkörper friert, köcheln einem ab Knietiefe die Füße bei ca. 60° C an...gemittelt also ein guter Temperatur-Ausgleich, der einen stundenlangen Aufenthalt im Wasser ermöglicht. Einfach wunderbar!

In einem kleineren, ebenso salzigen, jedoch in der "Schwimm-Sphäre" weniger heißen Nachbar-See kann man 1 cm kleine, knallrote Blattfußkrebschen (Branchiopoda) fangen, bei uns auch als Salinenkrebse bekannt. Eine Art Binnen-Zooplankton sozusagen. Mit ihren federähnlich aussehenden Beinen tummeln sie sich dort in Massen mit wellenartigem Beinschlag, beginnend mit dem hintersten hin zum vordersten Beinpaar, auf diese Weise Nahrungspartikel zu ihren Mandibeln spülend. Sie sollen aphrodisiakisch wirken, zumindest sind sie ein willkommener Snack für zwischendurch...

Nach einer weiteren Zelt-Nacht mit Besuch von einem Schakal geht es zurück nach Sebha, zum Rückflug nach Tripolis.
Zuvor müssen wir uns jedoch noch 130km durch Sanddünen quälen. Mit viel Anlauf und völlig überdrehenden, im 2.Gang laut aufkreischenden Motoren jagen wir auf die steilen Dünenkämme zu. Wie in einem hochziehenden Sportflugzeug sehen wir durch die Windschutzscheibe nur mehr den stahlblauen Himmel, bis das Fahrzeug am Kamm abrupt um rund 300° nach vorn kippt und es jetzt steil in den +vorher nicht sichtbaren- Abgrund geht. Ähnlich wie an der Hausbergkante also, und nichts für schwache Nerven. Und nicht jeder Anlauf gelingt auf Anhieb: Mehrmals geraten wir in eine stark überschlagsgefährdete Abroll-Stellung quer zum Abhang....uaaaahhh!

In der Römerstadt Leptis Magna sieht Roland erstmalig ein anderes als "Kaschperl"-Theater, und Doris amüsiert sich auf der antiken Latrine der Hadrians-Thermen.

Die Medusenhäupter hier erinnern uns an die Mythologie, wie Perseus, Andromeda, Kepheus und Cassiopeia ans Himmelszelt gelangten.

Nach einer Kurzbesichtigung von Tripolis, wo uns von jeder wichtigen Wand ein Porträt von Oberst Muammar al Qaddhafi, dem Führer der Großen libysch-arabischen sozialistischen Volks-Jamahiriya entgegen lacht, geht es wieder heim.

Wir haben eine erlebnisreiche, rundum harmonische und hoch interessante Reise mit einer recht langen Sonnenfinsternis erleben dürfen, bei der wir auch viel gelacht haben. Sie wird uns immer in Erinnerung bleiben. Und vielleicht ergibt sich für die Sonnenfinsternis 2008 in Asien wieder eine Möglichkeit, gemeinsam ein derartiges Lebens-High Light genießen zu dürfen.

Bernhard