Astropraxis - Komet Schwassmann-Wachmann 3

Sofienalpe, 12. Mai 2006

Ein ganz normaler Astropraxis-Abend als Chronikereignis? Nun, formulieren wir es anders: Was passiert, wenn die folgenden Voraussetzungen gegeben sind:

  1. Ein makellos schöner, milder Abend ohne eine einzige Wolke am Himmel
  2. Ein Freitagabend
  3. Ein Komet steht am Abendhimmel, der bald nicht mehr am Abendhimmel zu sehen sein wird
  4. Der Wetterbericht für die kommenden Nächte ist schlecht
  5. Der Komet ist zwar nicht spektakulär, aber es ist jener 73P (Schwassmann-Wachmann 3), der seit 1995 unaufhörlich zerfällt und dies heuer besonders massiv macht
  6. Der Komet an diesem Wochenende in Erdnähe steht

Das Ergebnis all dieser Umstände ist eine Zusammenkunft von Hobbyastronomen mit ihren Instrumenten, die so manchem Teleskoptreffen alle Ehre machen würde. Und das bei Vollmond, das sein noch erwähnt. Aber man kann sich's halt nicht aussuchen, wann astronomische Ereignisse stattfinden.

Wir haben unsere Astropraxis, mit aller gebotenen Vorsicht, auch den Medien angekündigt, schließlich haben wir uns ja auch einen sehr starken Bildungsauftrag auferlegt. Vorsichtig deshalb, um nicht die Erwartungen zu hoch zu schrauben. Auch wenn so manche Pressemeldung etwas seltsam anmutete, die Nachricht ist in der richtigen Dosierung hinüber gekommen und so gesellen sich heute zu Dutzenden Hobbyastronomen auch einige sehr interessierte Gäste.

Schon bei Sonnenuntergang beginnt der Aufbau, denn wer früher kommt, bekommt natürlich den besten Stellplatz fürs Fernrohr. Aber bitte, Platz ist hier genug.


Schon vor Sonnenuntergang sind die ersten hier


In der Dämmerung entsteht ein Teleskopwald

Schon die ersten Teleskope, die aufgebaut werden, lassen vermuten, was das heute für ein Treffen wird. Unter den ersten fünf Instrumenten ist keines kleiner als 10" (25cm)! Und es werden laufend mehr. Bei den nachfolgenden Bildern erübrigen sich die Worte.

Es werden sage und schreibe 26 Teleskope aufgebaut; Rolands 18" Obsession und Claus' 14" LX200 bilden die Spitze, dann kann man nur mehr zählen. 4 x 12", 4 x 10", und so weiter. Aber es sind auch jede Menge kleinere Instrumente und Feldstecher hier (die ich bei den 26 gar nicht mitgezählt habe) und sogar ein 60mm Nickel-Spektiv! So etwas habe ich schon lange nicht mehr gesehen. In den 70ern wurde es als "ideales Amateurfernrohr" angepriesen. So ändern sich die Zeiten ...

Und dann geht der fast volle Mond auf.


Aufgang von Mond und Jupiter

Die Teleskope sind jetzt alle auf Jupiter oder den Mond gerichtet. Unsere Gäste sind immer wieder erstaunt, dass der Mond bei Vollmond nicht am schönsten ist. Jupiter entschädigt für das fast völlige Fehlen von Relief auf dem Mond.


Viele Rohre schwenken nach Südosten


Schaulustige bewundern unser Treiben


Der fast volle Mond; Canon EOS 350D am 12" LX200 @ f/3.3


Ein Blick durch den 18" Obsession zum ...


... Jupiter!

Trotz nicht so optimalen Seeings in geringer Höhe ist Jupiter interessant, sieht man doch nicht nur den GRF, sondern auch "Red Junior", der, da im anderen Rotationssystem, dem GRF schon sehr nahe gekommen ist. Obige Aufnahme ist das Komposit von zwei Webcamserien, eine mit IR Sperrfilter für die Farben (nur ca. 300 verwertbare Frames), eine mit IR Passfilter für den Kontrast, hier sind ca. 700 Bilder gestackt. Zentralmeridian (für die IR-Komponente) System I = 246°, System II = 135°. Aufnahme mit 12" LX200 und 3m Brennweite (f/10).

Bis die Fragmente von Schwassmann-Wachmann 3 hoch genug stehen, bleiben einige Stunden Zeit; trotz Vollmonds werden sogar Deep Sky Objekte beobachtet, die Durchsicht ist sehr gut. Der helle Mond beleuchtet unser Teleskoptreffen, über dem nur die hellsten Sterne den Wettstreit mit dem hellen Himmelshintergrund bestehen.


Die Teleskope sind auf Deep Sky Objekte gerichtet; im Norden Perseus und Cassiopeia


Im Nordwesten stehen Zwillinge (unter Castor und Pollux der Mars) und Fuhrmann mit Capella

Bei hellen Mondlicht sind Galaxien nicht sehr spektakulär, dafür die Kugelsternhaufen umso mehr. Vor allem M3, M13 und M92 werden bestaunt. Sternförmige Objekte leiden ja nicht unter der Hintergrundaufhellung und ab einem gewissen Fernrohrdurchmesser sind sie auch bei diesen Bedingungen spektakulär.

Ich experimentiere und mache am 12" LX200 ein paar Aufnahmen von M13 mit zwei f/6.3 Reducern, das gibt f/3.3. Bei dem großen Chip der EOS 350D sind in dieser Konfiguration die Sterne am Rand leider schon deutlich verzerrt, doch in der Mitte passt alles und schon mit nur 10 Sekunden Belichtungszeit bei 800 ISO ist viel auf der Aufnahme zu erkennen. Ich stacke drei Aufnahmen. Damit kann ich das helle Hintergrundlicht fast wegbekommen.


M13, verkleinerter Bildausschnitt, 3 x 10 Sekunden, 12" LX200 @ f/3.3

Nach 23 Uhr steht der Schwan schon einigermaßen hoch im Nordosten, und das bedeutet, dass wir uns jetzt dem eigentlichen Ziel des Abends, dem zerfallenden Kometen Schwassmann-Wachmann 3, zuwenden können. Alle Rohre sind jetzt dorthin gerichtet, und Fragment "B" ist das erste Ziel.


Alle Rohre sind jetzt auf den Kometen gerichtet

Fragment "B" zeigt sich nicht mehr ganz so hell wie in den Tagen zuvor, aber immer noch sehr deutlich, mit einem hellen, sternartigen Kernbereich und einem spitzen, breit gefächterten Schweif. In der gleichen Konfiguration wie M13 nehme ich den Kometen mit nur 15 Sekunden Belichtungszeit auf.


Komet 73P Fragment B, 12" LX200 @ f/3.3, Canon EOS350D, 15S/800 ISO, verkleinerter Bildausschnitt

Die Aufnahme ist eigentlich sehr beachtlich für die kurze Belichtungszeit. Was mich auch sehr beeindruckt ist die extrem tiefrote Färbung des schwachen Sterns GSC 2684:1641 (11.5 mag), die in den komprimierten Versionen der Bilder auf dieser Homepage leider nicht so gut herauskommt wie im Original. Über diesen Stern liegen noch keine genaueren Spektraldaten vor.

Ein Gast fragt "Kann es sein, dass sich der Komet bewegt?". Da er durch ein nachgeführtes Teleskop schaut, kann es nicht die Erddrehung sein. In der Tat, man erkennt die Bahnbewegung des Kometen schon im Okular. Ich nehme den Kometen einige Mal auf; in nur fünf Minuten wird die Bewegung des Kometen mehr als deutlich.


Komet 73P Fragment B jeweils um 23.34, 23.35, 23.37 und 23.39 Uhr MESZ.
12" LX200 @ f/3.3, Canon EOS 350D, 10 Sekunden bei 800 ISO. Verkleinerter
Bildausschnitt. Hier erkennt man auch den extrem roten Stern GSC 2684:1641 gut.

Etwas später geht auch das Fragment "C" auf. Trotz extrem geringer Höhe ist es zu erkennen, es ist schwächer als "B". Auf einer Aufnahme ist es gerade einmal zu erkennen.


Komet 73P Fragment c, 12" LX200 @ f/3.3, Canon EOS350D, 15S/800 ISO, verkleinerter Bildausschnitt

Nach Mitternacht ziehen die Cirren der nahenden Störungsfront auf. Doch wir haben gesehen, was wir sehen wollten. Es war eine Sternstunde, weil, abgesehen vom Vollmond, alles gepasst hat. Was wir einmal mehr aus dieser Nacht lernen: Astronomie braucht einfach einen Anlaß.

Text und Fotos: Alexander Pikhard