Sonnenfinsternis 20.3.2015 - Spitzbergen

Longyearbyen, 20. 03. 2015

20150320tsa10.html

Beobachter / Observer: Tahir Saban
Datum / Date: 20. 03. 2015
Uhrzeit / Time: 10:00 MEZ
Beobachtungsort / Location: Longyearbyen
Instrument: Pentax 75
Bericht / Report:

Ich wollte schon immer mal nach Spitzbergen. Als mir im letzten Sommer die anstehende Sonnenfinsternis langsam bewusst wurde, dachte ich, dass ich diese Gelegenheit für eine Reise dort hin nutzen sollte. Meine Recherchen versetzten mir aber bald einen Dämpfer. Die günstigsten Reisen die noch zu buchen waren kosteten jenseits von 5000 EUR. Kurz darauf wurde im Yahoo Finsternis Forum SEML berichtet, dass in Longyerbyen alle Zimmer bereits ausgebucht sind. Aber dann hatte ich plötzlich eine echte Kateridee. Ich erinnerte mich an meine Jugend, wo ich oft mit Schlafsack in unzugänglichen Regionen übernachtete. Ich hatte mehrere Nächte unter dem Gefrierpunkt unter freiem Himmel unbeschadet verbracht. Und Longyearbyen hatte ja einen Campingplatz. Ich könnte mir also meine Reise selbst organisieren!

Beim lesen der Campingregeln wurde mir etwas mulmig. Jeder Camper hat selbst für Schutz vor Eisbären zu sorgen. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit einen Eisbär am Campingplatz hinter dem Flugplatz anzutreffen verschwindend klein zu sein schien, war es doch kein beruhigendes Gefühl. Da kam Kateridee Nr. 2: Ich miete mir einen PKW und übernachte am Campingplatz im Auto. Es gibt auf Spitzbergen ganze 13 Mietwagen und mir gelang nach ein paar Wochen, eines dieser Fahrzeuge zu reservieren.

Einen Monat vor Reiseantritt befasste ich mich intensiv mit dem Wetter und schaute täglich auf die Webcam. Der Luftdruck schwankte dauernd um 990mB, und Sonne gab es ein mal die Woche in Form von kurzen Auflockerungen. Die Temperaturen waren durchwegs unter -10°C, und ich fühlte mich mit dem Gedanken am Campingplatz immer unwohler. Ich suchte noch mal nach freien Zimmern und fand in einer Herberge eine Übernachtungsmöglichkeit in einem 4-Bett Zimmer inklusive Frühstück, noch dazu zu einem recht günstigen Preis.

Am Abend vom 17. März flog ich dann über Amsterdam nach Oslo. Am nächsten Morgen ging es weiter nach Longyearbyen am 79. Breitengrad. Jetzt begriff ich, wie weit Spitzbergen entfernt ist, der Flug von Oslo dauert knapp 3 Stunden und somit länger als ein Direktflug von Wien nach Oslo. Es war bewölkt; über den Lofoten klarte es auf, und ich hatte einen schönen Blick auf die Inseln.


Die Lofoten

Dann kamen über der Barentssee wieder Wolken, bis fast auf unsere Flughöhe. Na ja, auch wenn ich keine Sonne sehen würde, eine Reise nach Longyearbyen ist als solche interessant genug. Nun, bei der Landung sah es nun wirklich nicht gut aus. Tiefe Wolken und Eisschollen im Meer. Scheint hier überhaupt mal die Sonne? Die Landung ist in diesem Videoclip zu sehen:

Videoclip-Anflug Longyearbyen

Im Flughafen begrüßt den Besucher ein ausgestopfter Eisbär auf dem Gepäckförderband.


Terminal

Vor dem Terminal steht ein Wegweiser. Man liest hier, dass Oslo über 2000km entfernt ist aber der Nordpol nur mehr 1300km weiter im Norden liegt. Darunter ein neues, aber eindeutiges, Verkehrszeichen.


Wegweiser

Bis hierher verlief die Reise in angenehmen Temperaturen, aber als ich das Terminalgebäude verließ um meinen Mietwagen zu finden, traf mich die nördliche Realität. Das Thermometer zeigte -12°C an, und es wehte starker Südostwind. Ich hatte das Gefühl, dass gleich meine Ohren wie zwei Glasscherben abfallen würden. Mein Gott – war ich froh, jetzt nicht auf dem Campingplatz übernachten zu müssen!


Campingplatz

Dieser hatte wegen der Sonnenfinsternis außer Saison geöffnet und war gut gefüllt. Allerdings sahen die meisten Zelte auch wintertauglich aus.

Ich fuhr mit dem Wagen zu meiner Unterkunft im Bezirk Nybyen. Es war eine alte Bergarbeiterbaracke und fast das letzte Haus im Tal. Mein Zimmer war sehr klein und erweckte Erinnerungen an den Präsenzdienst. Naja, allemal besser als im Zelt oder im Auto zu schlafen.


Mein Zimmer

Longyearbyen hat ca. 2200 Einwohner und doch mehrere getrennte Ortsteile. Der Grund dafür soll die Brandgefahr gewesen sein. Als es vor den 70er Jahren im letzten Jahrhundert keinen Flugplatz gab, hätte ein Großbrand im Winter eine absolute Katastrophe bedeutet. Obwohl sehr klein, muss der Ort sich seine Fußgängerzone leisten. Es gibt zwei Supermärkte, zwei bis drei Restaurants ein Einkaufszentrum mit ca. einem Dutzend Geschäften – von denen die meisten Sportbekleidung und Ausrüstung verkaufen – und ein Postamt. Ich kam am Tourismusbüro vorbei. Da dachte ich mir, die Sonnenfinsternis kann ich bei diesem Wetter vergessen, ich schaue mal, ob ich für morgen eine Aktivität buchen kann. Schiffsfahrten werden nur im Sommer angeboten, Hundeschlitten mag ich nicht und mit Tageswanderungen kommt man nicht weit. So buchte ich eine Motorschlittenfahrt an die Ostküste.

Am nächsten Morgen wurde ich um 8:00 vom Tourguide Ivan abgeholt. Die neuste Nachricht war, dass ein tschechischer Tourist, der mit einer Gruppe im etwas östlich gelegenen Tempelfjord im Zelt übernachtete, von einem Eisbär angegriffen und verletzt worden war. Ivan sammelte noch andere ein, und wir fuhren ins Büro. Dort wurde uns Informationen zur Tour gegeben bzw. Gefahren und Verhaltensregeln erklärt. Ich hatte beim Buchen gelesen, dass man sich sehr warm anziehen sollte und hatte über der Unterwäsche in dickes T-Shirt, einen Rollkragenpullover, eine dicke Fleecejacke und darüber eine Daunenjacke angezogen. Ivan aber sagte "das wird nicht reichen", und ich bekam noch zusätzlich einen dicken Anzug, eine Balaklava, eine Neopren-Gesichtsmaske, eine Schneebrille, einen Helm und übergroße stark isolierte Handschuhe und Stiefel.


Das Outfit

Wir legten alles an und gingen kurz vor dem Hitzeschlag nach draußen, um uns die Schneemobile erklären zu lassen. Wir alle hatten mit diesen Vehikeln keine Erfahrung.

Es ging los. Zuerst über holprige Wege durch Longyearbyen, dann Richtung Südosten ins Adventtal. Nach einer halben Stunde dann der erste Stopp, um noch mal alles zu kontrollieren. Ich merke, dass Motorschlitten fahren Kraft und Aufmerksamkeit verlangt und verglichen mit dem Auto ziemlich unkomfortabel ist. Wir rasten mit 50km/h im Sonnenschein weiter nach Südosten. Ich schaute immer auf den Vordermann und wenn er hupfte musste ich an der unebenen Stelle auch aufpassen, um nicht abgeworfen zu werden. Wir kamen in immer schönere und unberührte Gegenden, in denen es absolut kein Zeichen der Zivilisation mehr gab. Die Landschaft veränderte sich; wir schlängelten uns durch Bergtäler. An einer Stelle mussten wir uns alle auf das rechte Trittbrett stellen und von dort aus fahren, damit der Motorschlitten nicht umkippte. Dann kamen wir auf einen Bergrücken, dahinter war ein großer Gletscher. Ivan schärfte uns ein, hier wegen Spalten niemals vom Schlitten abzusteigen und, falls wir einen Eisbären zu sehen bekommen, ohne sein Zeichen nicht zu stoppen. Das Terrain war sehr mühsam, wir kamen jetzt nur mehr mit 15km/h voran und auch bei dieser Geschwindigkeit bekam man alle paar Sekunden einen heftigen Schlag. Gegen 13:00 waren wir an der Eiskante des Gletschers angelangt und stoppten auf dem zugefrorenen Meer, um unser Mittagsessen einzunehmen. Hier war es windiger als bisher, und ich spürte erstmals Kälte.


Ulvebreen

Wir fuhren nach dem Essen weiter nach Osten, um das Kap Johannesen herum, um vielleicht doch einen Ursus Maritimus zu treffen. Hier stürmte der Wind, und ich hatte irgendwann keine Lust mehr, meine Kamera heraus zu holen. Es hatte jetzt -25°C, und der Wind wehte mit 30-40km/h aus Osten. Bei dem Wetter kamen keine Robben, und dadurch verzogen sich auch die Eisbären. Überall waren Spuren zu sehen, aber weit und breit kein Eisbär.


Ostküste


Ostküste

Also traten wir den Rückweg an. Da wir jetzt schon etwas Erfahrung hatten, fuhren wir an geeigneten Abschnitten mit bis zu 65km/h.

Als ich 18:30 wieder im Zimmer ankam, war ich ziemlich müde. Mein Zimmer hatte sich inzwischen mit zwei Sternfreunden aus Ungarn und Singapur gefüllt. Sie waren sehr nervös und gingen mehrfach die Bedienung der Fotoapparate durch. Ich aber war nur müde, wir hatten ca. 200km zurück gelegt und waren fast zehn Stunden im Freien gewesen.

Ich wachte auf, als mein Zimmernachbar aus Singapur kurz nach fünf hastig zum Fenster ging und den Vorhang aufmachte. Er sagte besorgt "God!". Als ich hinaus blickte, war der Himmel mit Nebel bedeckt. Ich schlief wieder ein, bis mich der Mann aus Singapur erneut weckte. Er schaute aus dem Fenster, diesmal sagte er "good!". Draußen war ein strahlend blauer Himmel zu sehen, und ich musste an einen Koranvers denken, der mit den gleichen Worten den undankbaren Menschen skizziert. Es war halb acht. Beim Frühstück waren alle Nationen vereinigt. Die meisten waren nervös. Ich fuhr erst noch ans Meer beim Flugplatz, wo ich einige Steine sammeln musste, die mir als Gegengewicht für die Montierung dienen sollten. In einem gefrorenen Land keine einfache Sache. Am Flughafen am Meer gefiel es mir so gut, dass ich beschloss, nicht wie geplant ins Adventtal zu fahren. Ich baute meine Ausrüstung dort auf und war zehn Minuten vor dem ersten Kontakt fertig.


Mein Teleskop

Ich musste immer wieder an die Kamerabatterie denken und sie zwischendurch wärmen. Ich befürchtete, dass bei -18°C gerade während der Totalität die Kamera schlapp macht. Nun ging alles ganz schnell. Plötzlich war die schwarze Sonne da:


SOFI 1/4000s

Es funkelten rote Funken, und die Korona war sehr schön zu sehen.


SOFI Komposit

Ich habe mit einer kleinen Kamera die Eindrücke eingefangen und daraus einen beschleunigten Clip gemacht:

Videoclip-SOFI

Die Sonnenfinsternis war wunderbar. Durch die geringe Höhe von ca. 11 Grad wurde sie noch intensiver wahrgenommen. Noch zwei Tagen zuvor hätte ich nicht davon geträumt, die Sonnenfinsternis auch nur kurz durch die Wolken zu sehen, und jetzt so ein Kaiserwetter! Gottseidank. Ein Norweger sagt mir, dass es erst der dritte sonnige Tag im heurigen Jahr war.

Als Abschluss möchte ich noch ein Video vom Abflug in Longyearbyen und Süd-Spitzbergen zur Verfügung stellen. Es ist allerdings ca. 10 Minuten lang.

Videoclip-SOFI

Viele Grüße Tahir Saban


Wiener Arbeitsgemeinschaft für Astronomie.
www.waa.at