Beobachtungsbericht, 27./28. Jänner 2001

Name: Alexander Pikhard

Email: apikhard@eunet.at

Datum: 27. 1. 2001, 06.30 UT bis 20. 30 UT

Ort: siehe Bericht

Instrument: freies Auge

Der Tag, an dem die Sonne zweimal auf- und unterging

Wenn ein Beobachtungsbericht einen derartigen Untertitel aufweist und noch dazu kein Beobachtungsort angegeben ist, muß irgendetwas faul sein. Nun, faul war nichts, ich saß lediglich in einem Flugzeug, 11.000m hoch über dem Boden und auch über den Wolken und konnte mich anläßlich eines Langstreckenflugs von Frankfurt nach San Francisco von einigen fundamentalen astronomischen Fakten persönlich überzeugen.

Ich gebe alle Zeiten in UT an, da die Angabe einer Zonenzeit absolut verwirrend war, immerhin durchflog ich im Lauf dieser Beobachtungsserie zehn Zeitzonen!

Einige wichtige Fakten zum Verständnis: Die Erdachse ist gegen die Erdbahn bekanntermaßen um rund 66,5° geneigt, was zu den Jahreszeiten führt. Die Rotationsachse der Erde weist nämlich (abgesehen von der langfristigen Präzession) im Jahreslauf immer in die gleiche Richtung. Auf der Nordhalbkugel der Erde herrscht Winter, wenn die südliche Hälfte unseres Planeten der Sonne zu-, die nördliche abgewandt ist. Die Region um den Nordpol (Arktis) hat Polarnacht, und hier beginnt auch schon des Rätsels Lösung.

Die Sonne hatte am 27. 1. 2001 um 12 Uhr UT eine Deklination von etwas weniger als 18° Süd, dies bedeutet, daß die Zone der Polarnacht vom Nordpol (geogr. Breite 90° N) in jeder Richtung 18° weit, also bis zu einer geografischen Breite von 72° Nord, reichte. Da auf Interkontinentalflügen die kürzeste Route gewählt wird (entlang eines Großkreises auf der Erde), lag der nördlichste Punkt unserer Route auf 74° N über Grönland, also in der Polarnacht.

Hier die Chronologie der Ereignisse, simuliert mit Starry Night Pro. Die Bilder zeigen die Erde aus einer Entfernung von 10.000km, die Flugzeugposition ist jeweils genau in der Mitte des Bildes. Das prächtige Farbenspiel am Horizont - es übertraf jenes bei einer totalen Sonnenfinsternis bei weitem - kann ich nur versuchsweise in Worten beschreiben, da ich leider keine Kamera dabei hatte. Die geographischen Koordinaten sind geschätzt, da ich auf die exakten Telemetriedaten der Maschine keinen Zugriff hatte :-)
 
 
06.30 UT, 16°E, 48°N (Wien)
Start von Wien nach Frankfurt, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Während des kurzen Fluges nach Frankfurt wird sie über den Wolken einen brillianten ersten Aufgang liefern.
09.30 UT, 8°E, 50°N (Frankfurt)
Erneut Start; die Sonne ist in der Zwischenzeit aufgegangen (wovon man bei dem lausigen Wetter in Frankfurt wohl nur mitbekommen hat, daß es heller geworden ist, aber über den Wolken war das mehr als deutlich).
11.30 UT, 12°W, 68°N (nördlich von Island)
Wir fliegen in die Polarnacht. Obwohl sich die Erde schneller dreht, als wir fliegen, wird es wegen der hohen nördlichen Breite wieder Nacht. Die Sonne sinkt im Südsüdosten tiefrot unter den Horizont (durch die Flughöhe von rund 11 Kilometern kann die Sonne weit unter den mathematischen Horizont verfolgt werden - doch eine hohe Wolkendecke sorgt wieder für normalere Verhältnisse)..
14.30 UT, 50° W, 74° N (über Grönland)
Eine halbe Stunde nach dem lokalen Mittag. Polarnacht, bürgerliche Dämmerung. Eisig graublau liegt eine Wolkendecke unter uns, manchmal ist das grönländische Inlandeis durch Wolkenlücken zu erkennen. Der Südhorizont ist blutrot verfärbt, darüber Orange, dann in ein tiefes Blau verlaufend. Venus strahlt, dank steigender Ekliptik und hoher nördlicher ekliptikaler Breite, beeindruckend hell vom Himmel. Durch ein Wolkenloch sticht kurz die Sonne hervor - wie ein roter Laserstrahl. Durch die Flughöhe können wir wie gesagt unter den mathematischen Horizont sehe.
17.30 UT, 90° W, 69° N (über den unwegsamen Nordwestterritorien, Kanada)
Im Südsüdwesten geht wieder die Sonne auf - strahlend Orange; der Himmel wird zusehends heller, doch noch immer ist Venus ganz deutlich zu erkennen. Sie steht nahe dem größten Glanz, daher können ihr die Strahlen der tiefstehenden Sonne nichts anhaben.
19.00 UT, 112° W, 50° N (nahe Edmonton, Kanada)
Fast wieder auf der geographischen Breite von Wien angekommen, ist es wieder heller Tag. Venus kann ich nicht mehr ausmachen, es scheitert am Auffinden.
20.30 UT, 122° W, 38° N (San Francisco)
Es ist knapp vor Mittag hier, die Sonne steht im Süden. Nach einem ungewöhnlich klaren Nachmittag wird sie erneut untergehen. Dann hat in Wien schon längst der 28. Jänner begonnen.

Fazit: Man kann die Langeweile eines Transatlantikflugs durchaus auch durch beobachten fundamentaler astronomischer Tatsachen verkürzen; immerhin bekommt man derartige Präsentationdne der Natur nicht alle Tage serviert.
 

Alexander Pikhard