Beobachter: | Alexander Pikhard |
e-Mail: | apikhard@utanet.at |
Datum: | 31. 05. 2003 |
Zeit: | 04.45 bis 06.30 MESZ |
Ort: | Mariazell/Bürgeralpe |
Instrument: | Olympus Camedia C-3000 Digitalkamera |
Bedingungen: | Im Westen einige Quellwolken, der Osthorizont ist bis auf eine dichte Dunstschicht klar. Mild, Temperatur ca. 15°C |
Bericht: | 3.45 Uhr. Was für eine Zeit für einen Wecker. Zumal wir bis 0.30 Uhr auf der Sternwarte in Mariazell beobachtet haben. Geschlafen habe ich auch nicht gut und frage mich, warum ich nicht gleich durchgemacht habe. Wäre besser gewesen. Aber jetzt ist Sonnenfinsternis. Komisch, ich empfinde ähnlich wie 1999, als es etwas später war. Der gleiche Blick aus dem Fenster, ebenfalls nach Westen. Das gleiche undefinierbare Grau der Dämmerung, mit ein paar Strukturen drin. Wolken? Wie viele? Ist es bedeckt? Um 0.30 Uhr war es noch wolkenlos. Nein, es ist nicht bedeckt, aber im Westen sind einige Wolken. Nach Osten sieht man nicht. Egal, wir probieren es jedenfalls. 4.15 Uhr. Zu dieser Stunde bin ich bisher bestenfalls von der Sternwarte zum jeweiligen Quartier gefahren, aber jetzt wandert eine gar nicht so kleine Gruppe vom St. Franziskusheim zur Talstation der Seilbahn auf die Bürgeralpe. Hier ist alles dunkel. Dann ein Auto. Ein Mitarbeiter der Mariazeller Bergbahnen steigt aus, kassiert und öffnet die Türen. Wir sind zu viel für eine Gondel, es werden zwei Fahrten. Die Gondel schwebt den Westhang der Bürgeralpe empor; wir sehen das in der Dämmerung liegende Bergpanorama mit den dahinter aufquellenden Wolken. Den Osthorizont sehen wir nicht. Die Seilbahntrasse wird flacher, wir blicken nach Osten - klar! Der Osthorizont ist klar, es könnte was werden. Recht stumm verläßt unsere Gruppe die Gondel, alle sind noch sehr müde. Oder angespannt? Oder beides? Wir steigen den flachen Weg zur Erzherzog Johann-Warte empor. Der schmale, recht hohe Turm ist der einzige Ort in der ganzen Gegend, von dem aus der Osthorizont gut einzusehen ist. Das haben wir schon am Vortag ausgekundschaftet. Düster liegt die Erzherzog Joahnn-Warte in der Morgendämmerung. Ob wir da alle hinaufpassen werden? Ob die Wolken im Westen bleiben? Günther Eder kommt mit dem Schlüssel der Warte. Nacheinander stapfen wir die steile Holztreppe zur Plattform empor. Dort bietet sich ein wunderschöner Ausblick, doch bald bricht Hektik los. Es ist wirklich nicht viel Platz für die vielen Stative. Hoffentlich leidet niemand an Höhenangst! Vorbereitungen in der Dämmerung Wo wird die Sonne aufgehen? Wohl dort, wo der Horizont am hellsten ist. Das Warten beginnt ... Flugzeuge ziehen ihre Kondensstreifen über den Himmel, von der Sonne beleuchtet. Ein Pilot, von Wien kommend, zieht eine s-förmige Kurve. Vielleicht will er seinen Passagieren die Sonnenfinsternis zeigen. Vom Flugzeug aus muss sie ja schon zu sehen sein. Wir warten noch. Wie dicht ist die Dunstschicht? Es ist fünf Minuten nach Sonnenaufgang. Da ... Blutrot schiebt sich die eine Sichelspitze über den Horizont. Im Feldstecher erscheint sie wie die Spitze eines glühenden Dolches, hart und scharf, unheimlich, als würde die Erde von Innen mit dieser glühenden Sichel aufgeschlitzt werden. Bald erkennt man die ganze
verfinsterte Sonne, die da als dünne Sichel im Nordosten aufgeht.
Langsam schiebt sie sich aus dem Dunst des Horizonts und erscheint bald
in einem grellen, orangeroten Licht.
Ich habe schon einige Sonnenfinsternisse gesehen, totale wie partielle, aber dieses Naturschauspiel ist neu. Was mögen die Menschen in früheren Zeiten angesichts eines solchen Sonnenaufgangs gedacht haben. Anstelle des wärmenden, schützenden, Licht spendenden Gestirns, das Tag für Tag die Natur zu neuem Leben erweckt, steigt eine Sichel am östlichen Horizont empor, gleichsam jener, die nicht Leben spendet, sondern durch jähen Schnitt beendet. Waren es Ereignisse wie dieses, die die Wurzel unserer Ängste, aber auch unseres Glaubens bilden? Das Bergpanorama im Osten ist in ein eigenartig fahles Morgenrot gehüllt. Die Täler sind noch mit dichtem Nebel bedeckt, doch über dem Horizont schwebt die blutrote Sichel der aufgehenden Sonnenfinsternis. Und der Mond. Das kann doch nicht unser Mond sein, dieser dunkle, unförmige Brocken, der eher einem Pflasterstein gleicht, den ein Lümmel in unsere Sonne geworfen hat. Durch atmosphärische Schichten zur grotesken Form verzerrt, bietet sich im Fernrohr ein eigenartiges Bild der Finsternis. Bald ist die Sichelsonne so hell, dass man sie nicht mehr ohne Sonnenfilter betrachten kann. Zum Zeitpunkt der grössten Verfinsterung bemerken wir, obwohl die Sonne tiefsteht, das berühmte fahle Finsternislicht mit seinen eigenartig scharf gezeichneten Schatten. Einen Moment lang spüre ich in mir jene Anspannung, wie sie bei totalen Finsternissen aufkommt, wenn die Sonne nur mehr so eine schmale Sichel ist und damit signalisiert, dass es nicht mehr weit zum zweiten Kontakt ist. Doch kurz atme ich durch, es ist das Maximum, es wird nicht mehr, und ein Blick herum in die Mariazeller Bergwelt holt mich zurück aus Tansania, Sambia oder Neutal ... Auf der Warte steht unsere Gruppe dicht gedrängt. Am Rand wird fotografiert, aus der Mitte beobachtet. In dem fahlen Licht, das aus der Kombination von dünner Sichel und tief stehender Sonne resultiert, sieht die Szene wirklich aus wie knapp vor oder nach einer Totalität. Was für eine Finsternis. Man beachte den seitenverkehrten Linsenreflex rechts unterhalb der Sonne! Die Sonne läßt die tiefen Dunstschichten hinter sich und entfaltet sich bald in ihrer vollen Helligkeit. Nicht mehr gedämpft beginnt sie, den Nebel in den Tälern aufzulösen. Wenn ihre Strahlen die Böden der Täler erreicht haben werden, wird die Finsternis längst Geschichte sein. Viele von uns verlassen den Turm, um die nahe gelegene Schutzhütte für ein Frühstück aufzusuchen. Eigentlich verspüre ich auch Hunger ... und habe doch schon einige Sonnenfinsternisse gesehen. Doch irgendwie läßt die Finsternis die letzte Gruppe von Beobachtern nicht gehen. Wie bei jeder Finsternis harren wir bis zum letzten Kontakt aus. Wir haben unsere Sonne wieder. Was für ein Erlebnis! Kaum jemand hätte erwartet, dass eine partielle Sonnenfinsternis so eine spektakuläre Erscheinung sein kann. 7 Uhr. Mit etwas Frühstück im Magen beschliessen die meisten, nicht bis 9 Uhr auf die erste Seilbahnfahrt zu warten, sondern den Fussmarsch ins Tal anzutreten. Es ist ein Marsch durch die erwachende Natur, dominiert von den Stimmen der Vögel und dem einmaligen Aroma eines Hochwaldes in den ersten Stunden eines neuen Tages. Unmöglich, das hier in Worte zu fassen, einfach unmöglich. Im Tal erwacht Mariazell allmählich. Wir aber suchen unsere Quartiere auf, um bis zum Nachmittag noch ein wenig Schlaf zu finden. |