Beobachter: | Alexander Pikhard | ||||||||||||||
Datum: | 12. 11. 2005 | ||||||||||||||
Zeit: | 18.45 bis 00.30 MEZ | ||||||||||||||
Ort: | Hohe Wand, Kleine Kanzel | ||||||||||||||
Instrument: | 12" Meade LX200, Minolta Dimage Z3, Philips ToUCam Pro | ||||||||||||||
Bedingungen: |
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Bericht: | Ob wohl eine Person in einem der vielen Fahrzeuge, die hier auf der Südautobahn von Wien nach Süden fahren, ans Sterngucken denkt? Wohl kaum. Dass heute keine Marsbeobachtung auf dem Cobenzl möglich sein wird, war schon klar, als gestern Abend - nach durchaus guter Sicht - der Hochnebel einfiel. So fällt der letzte Familientag auch aus. Im heurigen Jahr waren wir mit dieser Veranstaltung alles andere als erfolgreich, aber das lag am Wetter. Nur ein Termin kam bei guten Bedingungen zustande. Aber das ist jetzt Geschichte. Im Buch des Lebens werden Kapitel eben abgeschlossen, und die Handlung kann mit einem neuen Kapitel fortgesetzt werden. Mit neuen Ideen, vielleicht sogar mit neuen Charaktären. Doch zunächst wird beobachtet. Schon am Vormittag kommunizierten wir die Hohe Wand als Ersatzort, um Mars zu beobachten. Kurts Anruf vom Gasthof Postl gegen 17 Uhr sorgte aber für Ernüchterung: Dichter Nebel! Die Obergrenze liegt höher als 920m. Ich schlage Kurt vor, auf die Kleine Kanzel auszuweichen, und nach kurzer Zeit der erlösende Anruf, dass es dort klar ist. Mein Ziel ist somit auch klar. Bei guter Sicht unter der Hochnebeldecke geht es durch Weikersdorf, Winzendorf, Gaaden und Stollhof. Auch die unterste Kehre der Bergstraße ist noch frei. Aber dann geht es los. 30, 20, 10 Meter Sichtweite, und das gerade in den engen, in den Fels gesprengten Kehren. Schrittempo ist angesagt, aber es kommt mir ohnedies niemand entgegen. Kommt da nicht eine Abzweigung? Egal, der Leitlinie folgen, das ist die Hauptstraße. Schemenhaft nehme ich den Wegweiser zum Gasthof Postl war. Gut, das kann nicht gehen. Es geht bergauf. Der Nebel klart auf, aber noch immer keine Sterne. Nanu!? Einige hundert Meter weiter dann wieder Nebel - eine zweite Nebeldecke! Erst nach der Abzweigung zum Waldeggerhaus komme ich aus dem Nebel heraus und jetzt strahlt über mir der Himmel. Vorbei am Wildgehege, ein paar hundert Meter hinauf zur kleinen Kanzel, da stehen schon Kurt Bretschneider und Martin Hobiger mit ihren LX200. Sonst ist noch niemand da. Sie haben eine ebene Stelle an dem an sich sehr abschüssigen Parkplatz gefunden, dort baue auch ich auf. Es ist überraschend kalt (nur 2°C), also von Inversion keine Spur. Hoffentlich steigt der Nebel nicht auch noch hier herauf.
Im hellen Mondschein bietet sich ein atemberaubender Anblick. Da das Seeing anfangs noch nicht so gut ist, betrachte ich die vernebelte Welt von oben. Mit 1065m Seehöhe ist die Kleine Kanzel der am höchsten gelegene Punkt in der Nähe Wiens, den man leicht erreichen kann.
Es ist alles andere als dunkel, die klare Luft läßt das Mondlicht gnadenlos durch, aber außer dem Mond stört heute kein Licht. Die Städte liegen unter der dichten Nebeldecke. Kurt und Martin beobachten trotz des hellen Mondlichts Deep Sky Objekte, es geht recht gut.
Ich bin nicht so sehr auf Deep Sky eingestellt - der Himmel ist ja wirklich sehr hell, sondern warte einmal ab und genieße die Gegend. Mein Blick fällt nach Norden und ...
... beim Anblick des Großen Wagen über den dünnen - und für unsere Gegend total untypischen - Fichten frage ich mich, ob ich nicht einfach zu weit gefahren bin. Jetzt fehlt hier eigentlich nur mehr ein Polarlicht. Dass wir hier zunächst nur zu dritt stehen (Roland Graf hat sich allerdings schon angekündigt), stimmt mich nachdenklich. Noch vor zwei, drei Jahren, und da war die WAA eigentlich noch viel kleiner, hätte sich an einem Samstag eine viel, viel größere Gruppe von Beobachtern eingefunden. Was sie wohl jetzt alle gerade machen. Im Gedanken gehe ich die Namen durch. Braucht es in der Astronomie wirklich einen Hale-Bopp, eine totale Sonnenfinsternis oder einen Venustransit, dass das Interesse entfacht wird? Und warum erlischt dieses Interesse dann so rasch wieder? Ist der Blick durch ein Fernrohr angesichts der durch die Medien verbreiteten Bilder wirklich so enttäuschend, dass viele einfach darauf verzichten? Fragen über Fragen. Ich sollte was tun und wende mich einmal dem Mond zu. Für eine Totale ist die Phase zu weit fortgeschritten, aber ein paar Detailfotos sind trotz des noch immer nicht so guten Seeings möglich.
Kurt und Martin lassen sich von Autostar durch eine Guided Tour führen. Eigentlich schade. Irgendein Programmierer in den USA hat entschieden, was interessant sein könnte. So folgt Objekt auf Objekt, ohne irgendeinen kosmologischen Zusammenhang. Bei Cygnus X1 mische ich mich ein. Das Objekt kann man nicht sehen! Kurt greift zur Sternkarte. Ich bin mehr als erleichtert! :-) Ein Auto dreht auf dem nahe gelegenen Parkplatz vom Wildgehege schnelle Runden. Ein nächtlicher Rallyfahrer? Nein, es ist Tahir Saban. Nach kurzer Zeit hat er uns gefunden und baut sein Instrument auf. Und er bringt uns ein Geschenk mit, das mit Geld nicht zu bezahlen ist: Gutes Seeing! Von einer Minute auf die andere wird das Bild des Mars ruhig und der Einsatz der Webcam zu mehr als einer Alibiaktion. Ja, so gehört sich ein Mars! Schon das erste Bild mit 3x-Barlowlinse wird beachtlich.
Tut das gut, die interessanteste Gegend auf dem Mars bei ruhigem Seeing zu sehen. Beeindruckend ist die große Dunstwolke über der nördlichen Polarregion (unten) und wie dunkel die Südhalbkugel ist. Eigentlich sollte der Sinus Meridiani (im Bild ganz rechts) unten und oben von einem hellen Gebiet umgeben sein. Aber was schon die Bilder des HST gezeigt haben, wird auch hier sehr schnell klar: Ein breiter Streifen der Südhalbkugel des Mars liegt offenbar unter einer Schicht aus aufgewirbeltem Staub. Vielleicht sieht man ja deshalb so wenig von der südlichen Polkappe (oben). Ich probiere eine längere Brennweite. Gefühlsmäßig geht auch das noch.
Ein paar Details kommen zusätzlich heraus, nicht allzu viele, aber der Anblick ist trotzdem wunderbar. Andreas Pfoser kommt mit zwei Freundinnen und alle sind vom Anblick des Mars angetan. Wobei der Mars auf unseren Computerbildschirmen deutlich kontrastreicher erscheint als beim Blick durchs Okular. Wie war das mit dem enttäuschenden Blick durchs Fernrohr? Aber ich muss eine Lanze muss ich für die neue Technik brechen. Schauen Sie doch bitte das obige Bild ganz genau an. Haben Sie nicht das Gefühl, dass der Mars "links unten" nicht kreisrund ist, sondern eine leichte Ausbuchtung nach außen hat? Und ist das nicht ein kleiner, weißer Fleck genau am Rand, der sich etwas über den Rand erhebt? Ein Artefakt, vielleicht. Vielleicht aber auch der Tharsisrücken mit einem der 20km hohen Vulkane - vom Bildmaßstab und auch von der Lage geht sich das haargenau aus. Fokussieren ist eine medidative Tätigkeit. Ich wende pro Aufnahmeserie gute 5 Minuten nur zum Fokussieren auf. Das Bild betrachten, Eindrücke sammeln; dann vielleicht ein kurzer Ruck mit dem Motorfokus, erneut einfach nur schauen, ob blickweise die feinsten Details herauskommen. Was man beim Aufnehmen nicht sieht, kann auch auf der Aufnahme nicht drauf sein, so einfach ist das. Irgendwann kommt dann der Schluss, dass es besser nicht geht. Aufnahme starten. Zwei Minuten Konzentration, um den Mars - seine mittlerweile nur mehr 19" scheinbarer Durchmeser passen gerade mal auf den Chip - nicht zu nahme zum Rand wandern zu lassen. Der Anblick ist herrlich. Hintereinander stehen Kurts, Martins und mein LX200, jedes mit einem Laptop. Wie in einem Großraumbüro. Es gibt (oder gab?) Puristen, die sagen, zwischen Objektiv und Okular gehört nichts dazwischen, nur das ist erlebte Astronomie. Gut, es gibt auch Ultrapuristen, die sagen, das Fernrohr stört überhaupt, nur mit freiem Auge kann man das Weltall erleben. Auch eine Ansichtssache. Aber wir fahren mit jeder Menge Technik auf, um Bilder zu erzeugen. Zerstören wir den letzten Funken Romantik oder aber handeln wir genau richtig, indem wir Bilder vermitteln, die in etwa dem entsprechen, was alle erwarten? Wir werden sehen. Roland ist eingetroffen und baut seinen Dobson auf. Von wegen Enttäuschung. Der Blick durch dieses Fernrohr ist schlicht umwerfend. Fast alles, was wir mit den Webcams einfangen, ist mit Übung und Geduld auch visuell zu erkennen. Ich ärgere mich halblaut, dass die IR-Passfilter noch immer nicht im lokalen Handel erhältlich sind. Da sagt Tahir: "Ich habe einen!". Lechz! Ich montiere das gute Stück - ein Blick mit dem Auge durch den Filter macht mich misstrauisch, denn ich sehe fast gar nichts durch den sehr dunklen Filter. Meine Webcam ist anderer Meinung: Rot, aber sehr klar und vor allem ruhig steht das Bild da. Kein Zweifel, die Kamera sieht Wellenlängen, die unsere Augen nicht mehr sehen. Ich beginne wieder bei 9m Brennweite, also der TeleVue 3x-Barlowlinse.
Der Filter bringt schon sehr viel mehr Kontrast! Jetzt probiere ich das ganze auch mit einer weiteren 1,5-fachen Verstärkung.
Etwas mehr Details kommen heraus, doch der letzte Kick fehlt. Ich denke, die Meade Barlowlinse, die ich jetzt auch noch dazuschraube, ist im nahen IR nicht mehr gut korrigiert. Es ist eine bemerkenswerte Sternennacht hier oben. Nach und nach, es geht auf Mitternacht zu, wird abgebaut und heingefahren. Ich philosophiere mit Roland über das Interesse für Astronomie und die Zukunft der WAA. Es ist erstaunlich, in wie kurzer Zeit sich unsere Gesellschaft doch auffällig verändert hat. Erst diese Woche habe ich in einer Wirtschaftszeitung einen Leitartikel darüber gelesen. Bindung ist out - an Lieferanten, Händler, Interessen, sogar Partner. Das trifft auch uns. Dazu eine riesige Portion Orientierungslosigkeit angesichts einer Überflutung mit widersprüchlicher Information. Wir werden uns diesen neuen Herausforderungen stellen müssen. So ist das, wenn ein neues Kapitel geschrieben werden muss. Wir haben Tinte, wir haben Papier. Jetzt ist die Inspiration gefragt. Und unser größter Gegner heißt Bequemlickeit ... Wir blicken zum Himmel. Über uns Orion. So weit ist das Jahr schon fortgeschritten ...
Saturn ist auch schon aufgegangen und steht sogar schon recht hoch um Mitternacht. Ich habe keinen Strom mehr, aber zum Aufnehmen steht er noch zu tief. Wir schauen durch Rolands Dobson. Ein neuer, ungewohnter Anblick: Die Ringe sind schon schmäler, der Planet ragt über sie hinaus. Ich blicke zum Himmel, zum Mars. So nahe und so hoch werden wir ihn in unseren Breiten lange nicht mehr sehen. Entweder tiefer und größer oder höher und kleiner, aber diese gute Kombination gibt's frühestens in 40 Jahren wieder. Ich blicke zum Saturn. Die Ringe nicht mehr so weit geöffnet. So weit geöffnet und so hoch wie in den letzten Jahren gibt es Saturn erst wieder in frühestens 27 Jahren zu sehen. Heute ist so eine Nacht, in der einem die Astronomie wieder einmal zu Bewußtsein führt, wie unbedeutend wir, die wir uns so wichtig nehmen, eigentlich sind. Aber heute ist auch so eine Nacht, in der der Himmel auch nur die eine Botschaft bereit hat: "Carpe diem!". Schön, dass wir schon so viele interessante Dinge erleben durften und noch dürfen. Es liegt an uns, diese Gelegenheiten wahrzunehmen, denn manche kommen so bald nicht wieder. Ich habe mein Instrumentarium verladen und fahre talwärts. Nach nur wenigen hundert Metern tauche ich in das Nebelmeer ein. Sichtweite gerade einmal 10 Meter. Schrittempo. Die ganze Bergstraße lang. Der Nebel kondensiert an den Bäumen, Wasser tropft wie Regen herab. Unglaublich, dass gerade einmal 100 Höhenmeter darüber ein herrlicher Sternenhimmel strahlt. Vor Stollhof tauche ich aus dem Nebel. Bei guter Sicht geht es rasch nach Hause. Was für eine Nacht ... |