Gestern Abend hatten wir die Prager Volkssternwarte besucht, heute steht das Zentrum der tschechischen Berufsastronomie auf dem Programm, das Observatorium in Ondrejov. Was uns hier erwartet, können wir einmal mehr in der Wikipedia nachlesen:
"Die 1906 eröffnete Sternwarte Ondřejov (tschechisch Hvězdárna Ondřejov) gehört zum Astronomischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. 1898 kaufte der Industrielle und Hobbyastronom Jan Josef Frič ein Grundstück auf dem Berg Manda in Andersdorf, auf dem er mit dem Bau einer Sternwarte begann. Es dauerte acht Jahre bis das Grundstück entsprechend planiert, die notwendigen Gebäude erstellt und alle Instrumente installiert waren. In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 1906 führte Frič dann die ersten wissenschaftlichen Beobachtungen an der neuen Sternwarte durch. Die damaligen Beobachtungen wurden an einem kippbaren Dach mit einem neu konstruierten Zirkumzenital durchgeführt. 1928 schenkte er die Warte der Karls-Universität in Prag. Verwaltet wurde sie jedoch von der staatlichen Sternwarte, und nach der Gründung des Instituts für Wissenschaften am 1. Januar 1954 wurden beide Sternwarten zusammengeführt. Heute beherbergt die Sternwarte mehrere Abteilungen, darunter für Sonnen- und Sternforschung, interplanetaren Materie, Galaxien und Planetensysteme, Dynamik der Satellitenbewegungen, sowie ein Zentrum für Astrophysik."
Das klingt ja zunächst recht neutral, schon irgendwie interessant, aber so eine rechte Vorstellung haben die meisten nicht, als sie frühmorgens den Bus besteigen.
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Wir verlassen Prag im morgendlichen Frühverkehr; aus der Stadt hinaus geht es rasch, kein Wunder, die Pendler wollen ja alle in die Stadt hinein. Auf der Autobahn fahren wir einige Kilometer nach Südosten, also eigentlich Richtung Wien. Bis zur Ausfahrt Mirošovice ist es ja nicht weiter schwierig, aber dann muss sich Cäsar über schmale Straßen durch winzige Dörfer quälen. Ich weiss von einem Besuch vor mehr als 20 Jahren, dass die Sternwarte mitten im Wald liegt. Das erleichtert die Suche nicht.
Auf freiem Feld gabelt sich die schmale Landstraße, natürlich ohne Wegweiser. Links oder rechts? Renate entscheidet auf rechts. Wir erreichen das kleine Dorf Hrusice. Es erinnert frappant ans Waldviertel und hat ein entzückendes Dorfgasthaus. Wir wissen zwar nicht, wie es zur Sternwarte geht, doch wir reservieren hier gleich einmal fürs Mittagessen.
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Es wäre doch die linke Straße gewesen; auf den nachfolgenden engen Serpentinen hinauf nach Ondřejov kann Renate einmal mehr zeigen, was sie kann. Entgegenkommende Autofahrer haben auf dieser Straße offenbar noch nie einen Bus gesehen.
Für alle, die irgendwann einmal hierher fahren wollen, hier ein Link zu GoogleMaps: Karte der Umgebung von Ondřejov.
Endlich erreichen wir Ondřejov. Wir können sogar einen Wegweiser zur Sternwarte entziffern, doch das ist ein schmaler Fußweg. Wir fahren in die Ortsmitte. Wieder ein Wegweiser zur Sternwarte. Eine schmale Straße, Beschränkung auf zwei Meter Breite. Zu schmal für Cäsar. Es muß noch eine Straße geben, denn seinerzeit, beim Bau, müssen große LKWs da hinauf gefahren sein. Hektisches Telefonieren mit der Sternwarte. Der Astronom, mit dem ich mich auf englisch (oder etwas, das so ähnlich klingt) unterhalte, hat natürlich keine Ahnung, wo Schwerfahrzeuge zufahren können. Wozu auch, ist ja nicht sein Job. Also doch hinauf über die schmale Straße. Renate ist alles andere als amüsiert. Zentimeter für Zentimeter zwängt sich Cäsar zwischen zwei Häusern mit auffällig ramponierten Wänden durch. Ein Ortsansässiger tritt seinen Skoda bergab, ohne nach vorne zu schauen. Kurze Schrecksekunde. Einen halben Meter vor unserem Bus kann er sein Gefährt zum Stehen bringen. Schaut fassungslos. Schließlich erkennt er, dass er die Blockade nur lösen kann, indem er zurück schiebt. Es geht weiter. Wieder ein Wegweiser zur Sternwarte. Ein besserer Feldweg. Dann ein großer, freier Hain mit einem Radioteleskop. Das muss es sein. Noch ein paar hundert Meter durch den Wald, dann taucht vor uns eine riesige Sternwartenkuppel auf. Wir sind am Ziel.
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Der Vizedirektor des Instituts, Dr. Jiri Borovicka, begrüßt uns herzlich vor der Kuppel und geleitet uns in deren Inneres. Dort verschlägt es uns die Sprache ...
Das 2m-Spiegelteleskop
Ja, ich habe schon größere Teleskope gesehen, etwa den 3,5m-Spiegel auf Calar Alto und den 4m-Spiegel auf Kitt Peak; aber dort handelt es sich um Gittertuben in Gabelmontierungen. Dieses Teleskop hat, trotz seiner Größe, ein Rohr und sitzt noch dazu auf einer deutschen Montierung. Ein umfassbares Instrument in einer wahrhaft riesigen Kuppel. Teleskop und Kuppel sind in beruhigenden Pastellfarben gehalten, so dass die ganze Anlage, trotz ihrer erdrückenden Wucht, einfach schön ist.
In der riesigen Kuppel
Wir betrachten das Instrument zunächst von unten - das Gegengewicht ist furchteinflößend - und dann von der Wartungsgalerie.
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Wir verstehen bald den Sinn der deutschen Montierung. Das Instrument wird ausschließlich für Spektralanalyse verwendet und der Spektrograph sitzt tief im Fundament des Teleskops, nach einem Strahlengang von stolzen 64 Metern. Die Steuerkonsole in einem Seitenraum der Kuppel wird nur für Wartungsarbeiten verwendet; beobachtet wird einige Meter tiefer.
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Beobachtet wird praktisch im Keller. Dort befinden sich mehrere Spektrographen hinter einer wilden Konstruktion, die gleichzeitig Lichtteiler ist und Vergleichslichtquellen zur Kalibrierung einspeist.
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Ein Echelle-Spektrum der Vega; die Ringe sind Artefakte (Interferenz zwischen
TFT-Bildschirm und Digitalkamera). Dennoch erkennt man Spektrallinien.
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Nach der sehr ausführlichen Präsentation des Spektrographen kehren wir ans Tageslicht zurück und haben Gelegenheit zu bestaunen, wie wunderbar das Observatorium in der Natur versteckt liegt. Leider sehr nahe bei Prag, da stört das Licht sicher - allerdings, wie gesagt, hierzulande gibt es ein Gesetz gegen Lichtverschmutzung.
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Wir bedanken uns bei Dr. Borovicka und fahren zur nächsten Station, zur Meteorbeobachtung. Diese hat hier einen ganz besonderen Stellenwert.
Plan des riesigen Observatoriumsgeländes. Bis jetzt waren wir nur in der "linken oberen Ecke"
Dr. Pavel Koten begrüßt uns für den zweiten Teil der Tour und führt uns zur Beobachtungsstation.
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Zur Meteorbeobachtung braucht man keine großen Teleskope, eher Weitwinkeloptiken - und viel Zeit. Es geht darum, die Häufigkeit von Meteoren statistisch zu erfassen bzw. die Bahnen heller Meteore - Feuerkugeln oder Boliden - genau zu vermessen, um etwaige Meteorite auffinden zu können. Letzteres passiert hier und an anderen Stellen in der tschechischen Republik vollautomatisch.
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Die automatischen Kameras sind faszinierend. Sie überprüfen das Wetter (zuerst Regen, dann Bewölkung), und wenn es passt, beginnen sie mit der Belichtung des ganzen Himmels mit einem Weitwinkelobjektiv. Im Fall einer Feuerkugel wird der Zeitpunkt mittels eines zweiten Sensors genau registriert. Aus der Aufnahme kann dann die Bahn vermessen werden, wenn mindestens zwei, weit voneinander entfernte Stationen das gleiche Ereignis registrieren.
Belichtet wird noch auf Film. Es ist derzeit schwer vorstellbar, wie es digital möglich wäre, den ganzen Himmel eine Nacht lang durchgehend zu belichten. Aber da wird den Kollegen hier sicherlich bald etwas einfallen.
Nach der Führung der Meteorbeobachter begeben wir uns zum ältesten Teil der Sternwarte. Auf dem Weg dorthin können wir uns noch davon überzeugen, dass auch die Radioastronomie hier ihren Stellenwert hat.
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Wir betreten den alten Teil des Observatoriums.
Eingang zum alten Teil der Sternwarte
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Die alten Teile des Observatoriums sind heute Teil eines Museums. Nichts desto trotz sind sie liebevoll restauriert. Überhaupt macht das ganze Observatorium einen intakten, sauberen und modernen Eindruck - ganz anders als vor 20 Jahren, als alles ein bißchen verwahrlost wirkte. Heute, das muss man leider offen sagen, sieht unser Leopold Figl-Observatorium dagegen alt aus; aber gut, Österreich geht einen anderen Weg und will zur ESO.
Der dritte Teil unserer Führung führt uns ins Sonnenobservatorium. Hier wirkt die Sternwarte äußerlich noch am ehesten wir vor einigen Jahrzehnten, doch die Technik ist klarerweise auch hochmodern. Wie bei jedem Sonnenobservatorium wird auch hier die Sonne rund um die Uhr in verschiedenen Spektralbereichen überwacht.
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Das Sonnenteleskop wirkt etwas antiquiert, aber das liegt wohl an der kultigen Filmkamera,
die heute nur mehr als Gegengewicht fungiert
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Mit dem dritten Teil im Sonnenobservatorium endet dieser faszinierende Besuch in Tschechiens größter Sternwarte. Fast fünf Stunden lang haben uns insgesamt sechs Mitarbeiter des Instituts betreut. Ihnen gebührt unser größter Dank, genauso wie Robert Edelmaier und Anneliese Haika, die mit ihren Kontakten zum Institut für Astronomie der Universität Wien diesen Besuch überhaupt möglich gemacht haben.
Für alle, die hoch mehr nachlesen möchten, hier die Homepage des Observatoriums: http://www.asu.cas.cz/english/.
Durch den traumhaften Park geht es zurück zum Bus
Unser Mittagessen verzögert sich aufgrund der Länge der Führung um mehr als eine Stunde, was mancherorts zu erhöhtem Stress führt. Doch wir kennen den Weg und erreichen bald Hrusice mit seinem reizenden Landgasthaus.
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Jetzt sind alle glücklich ...
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