Die große Leere

Namibia 2019 - Es wird niemals Routine

Hakos Gästefarm, Namibia, 27.8. - 8.9. 2019

Alle, die im Zeitraum August bis Oktober nach Namibia fahren, erleben spätestens in der zweiten Nachthälfte den Blick in die "Große Leere". Dann nämlich, wenn die Milchstraße untergeht. Ja, das kann sie wirklich. Man mag annehmen, die Milchstraße bildet einen Großkreis am Himmel, der nie untergehen kann, und das stimmt ja auch im Prinzip. Doch es bedarf einer genaueren Betrachtung.

Die Rotationsachse unseres Planeten hat natürlich nichts mit der Ebene unserer Galaxie zu tun. Der galaktische Äquator, der in etwa die Mitte des Milchstraßenbandes markiert, ist um einen Winkel von 62,6° zum Himmelsäquator geneigt. Das ist der Grund, warum die Milchstraße in unseren Breiten im Sommer so steil von Norden nach Süden verläuft und auch nicht in ihrem ganzen Verlauf von Mitteleuropa aus zu sehen ist. So liegt denn auch der galaktische Nordpol (jener Punkt senkrecht über dem Band der Milchstraße) auf einer Deklination von 27,4° Nord (im Sternbild Haar der Berenike) und der galaktische Südpol (der Punkt genau senkrecht unter dem Band der Milchstraße, wobei "oben" und "unten" von der IAU genau so festgelegt wurden) auf einer Deklination von 27,4° Süd (im Sternbild Sculptor).

Jetzt kommt die geografische Breite ins Spiel. In Wien bedeutet die geografische Breite von rund 48° Nord, dass immer ein Teil der Milchstraße über dem Horizont zu sehen ist: Im Sommer den Himmel von Süden nach Norden überspannend, im Herbst von Ost nach West durch den Zenit, im Winter von Norden nach Süden und im Frühling, da am unauffälligsten, tief im Norden durch die zirkumpolaren Kepheus, Kassiopeia und Perseus. Auf einer geografischen Breite von 23° Süd, Hakos, steht aber zu gewissen Zeiten der südliche galaktische Pol quasi im Zenit, so dass die Milchstraße komplett im Horizont liegt - wo sie, bei nur etwas Dunst, so gut wie unsichtbar wird.

In diesem Himmelsanblick, mit Sculptor, dem Bildhauer, im Zenit, liegen die Milchstraßensternbilder im Horizont: Im Norden in der Tat die Kassiopeia. Nach Nordosten weiter der Perseus, dann der Stier und im Osten schließlich der Orion. Weiter nach Südosten der Große Hund, dann das Achterschiff. im Süden der Schiffskiel mit dem hellen Canopus (und unter dem Horizont dann Zentaur und Kreuz des Südens). Weiter nach Südwesten durch das Winkelmaß und den Wolf nach Westen zum Schützen. Von dort durch den Schild weiter zum Adler und nach Nordwesten zum Schwan. So schließt sich der Kreis. Bei extrem klarem Himmel mit guter Horizontsicht wäre die Milchstraße so wirklich 360° rundum zu sehen, zumindest zur Hälfte. Mit etwas Dunst verschwindet sie aber komplett.

Anekdote gefällig? Als spätnachts, die Fernrohre sind längst mit Langzeitbelichtungen beschäftigt, der Blick eben diesem Horizont folgt, erspähen die müden Augen zwei helle Lichter im Südsüdosten, die sich schwankend nähern. Wer mag sich hier, mit heller weißer Stirnlampe, aus der Einsamkeit der Steppe der Farm nähern? Ein ungutes Gefühlt kommt auf und es vertreibt auch die Müdigkeit. Dies wiederum macht aus zwei eins und auch das Schwanken hört auf, und das helle Licht am Horizont entpuppt sich als der aufgehende Canopus. Derart munter geworden, wollen wir den Blick zum Himmel konzentrierter genießen.

Über unseren Köpfen herrscht dann die "Große Leere". Denn die Region rund um den südlichen galaktischen Pol enthält auch kaum helle Sterne und auch kaum markante Sternbilder. Hellster Stern ist Achernar, das Ende des langen Flusses Eridanus - sieht man einmal von Canopus tief am Südhorizont ab. Es folgen Fomalhaut, Alnair, Deneb Kaitos und einige wenige weitere Sterne zweiter Größe wie Peacock, Ankaa oder Beta Gruis. Das war's dann an hellen Sternen. Es gibt auch kaum auffällige Sternbilder in dieser Himmelsregion. Im Norden noch die bekannten Andromeda und Pegasus. Daran nach Süden anschließend die langgezogenen und unauffälligen Fische, südlich davon die weit verzweigten Wassermann und Walfisch. Nahe dem Zenit steht mit dem Kranich ein einigermaßen auffälliges Sternbild, während südlicher Fisch, Bildhauer, Phönix oder Pfau sich nicht unbedingt als Konstellationen aufdrängen wollen. Mit Geduld kann man Stern für Stern dem langen Eridanus von Rigel bis Achernar in der östlichen Himmelshälfte folgen. Richtung (äquatorialer) Südpol geht es dann mit der langen Liste von absolut unspektakulären Sternbildern weiter, unter denen so unspektakuläre Asterismen wie Netz, Pendeluhr, Tukan, Inder, Tafelberg und letztlich der Oktant mit dem kaum mit freiem Auge sichtbaren Stern Sigma, der als südlicher Polarstern herhalten muss.

Doch in all dieser Leere gibt es zwei bemerkenswerte Lichtblicke in Form der Magellanschen Wolken. Sie stehen extrem nahe dem südlichen Himmelspol (gemeint ist der äquatoriale) und sind daher wirklich nur auf der Südhalbkugel der Erde gut zu sehen. Die Kleine Magellansche Wolke (Small Magellanic Cloud SMC, NGC 292) steht in der Nähe von Achernar im Sternbild Tukan und geht in Rektaszension voraus, geht also früher auf (eigentlich ist sie auf Hakos mit einer Deklination von 73°S zirkumpolar). Die Große Magellansche Wolke (Large Magellanic Cloud, LMC) steht in der Nähe von Canopus in den Sternbildern Schwertfisch (Dorado) und Tafelberg (Mensa). Sie folgt in Rektaszension der SMC und steigt später hoch. Auch sie ist für Hakos zirkumpolar, ihre Deklination beträgt 70°S. Alle Gestirne südlich einer Deklination von ca. 67° Süd gehen in Hakos nie auf oder unter.


Am Osthorizont von links nach rechts: Stier mit Plejaden und Hyaden, Orion, Großer Hund (Sirius ganz am Horizont), rechts Canopus. (Mit Mausklick vergrößern)


Die "Große Leere" mit den Magellanschen Wolken. Am Horizont Canopus, oben rechts Achernar. (Mit Mausklick vergrößern)


Die Magellanschen Wolken. Ganz am Horizont Canopus, links oben Achernar. Das helle Objekt nahe der SMC ist der Kugelsternhaufen 47 Tucanae. (Mit Mausklick vergrößern)

Die Magellanschen Wolken sind sehr auffällige Gebilde. Ihre Flächenhelligkeit entspricht jener hellerer Sternwolken in der Milchstraße. In der sternarmen Gegen der "Großen Leere" sind sie noch auffälliger. Bei oberflächlicher Betrachtung wirken sie wie diffuse Flecken, aber schon ein genauerer Blick mit freiem Auge zeigt eine gewisse Strukur, vor allem bei der LMC. Erwähnenswert ist auch der extrem helle Kugelsternhaufen NGC 104 oder 47 Tucanae gleich neben der SMC, der aber räumlich und kosmologisch nichts mit ihr zu tun hat, sondern viel näher steht. In einem Fernglas sind schon viele Details zu erkennen, allen voran der helle Tarantelnebel (NGC 2070, 30 Doradus) in der LMC. Im Fernrohr sollte man sich viel Zeit nehmen: Die beiden Zwerggalaxien lassen sich, trotz einer Entfernung von 160.000 (LMC) bzw. 210.000 (SMC) Lichtjahren, in Einzelsterne auflösen und zeigen unzählige Deep Sky Objekte wie offene und kugelförmige Sternhaufen sowie helle Nebel (H II-Regionen).


Die Kleine Magellansche Wolke. Rechts der Kugelsternhaufen 47 Tucanae. Links oben in der SMC NGC 395 und NGC 346. Links unten an der SMC das Gebiet NGC 456 - NGC 460. Canon EOS 70D mit F=80mm f/4 auf StarAdventurer, 20 x 180s bei 800 ISO. Aufgenommen am 28. 8. 2019. Bearbeitung: DeepSkyStacker - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)


Die Große Magellansche Wolke. Links unten, innerhalb der Hauptstruktur, der Nebelkomplex NGC 2070 (Tarantelnebel). Canon EOS 70D mit F=80mm f/4 auf StarAdventurer, 20 x 180s bei 800 ISO. Aufgenommen am 28. 8. 2019. Bearbeitung: DeepSkyStacker - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)

Fotografisch sind die Magellanschen Wolken zunächst am besten mit einer Brennweite zwischen 50mm und 100mm zu belichten, so können sie zur Gänze abgebildet werden. Mit längerer Brennweite, also durchs Fernrohr, werden dann Details aus den beiden Zwerggalaxien zum Zielobjekt. Hier ist es erneut der Tarantelnebel, der zu den Klassikern am Südhimmel zählt, aber gar kein so einfaches Objekt darstellt. Und wie gesagt, schon einmal in der Gegend, darf 47 Tucanae nicht fehlen, auch wenn er nur zufällig in der Nähe der SMC steht.


Detail aus der Kleinen Magellanschen Wolke rund um NGC 395 und NGC 346. Aufgenommen am 28. 8. 2019. ASI 1600MMpro gekühlte CMOS Kamera an 8" Boren-Simon Astrograph f/4. LRGB, pro Kanal 7 x 4 Minuten. Bearbeitung: DeepSkyStacker - Photoshop - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)


Detail aus der Großen Magellanschen Wolke: Der Tarantelnebel NGC 2070, leider in tiefer Lage und bei sehr schlechtem Seeing. Aufgenommen am 5. 9. 2019 am 12" Deltagraph f/3.3. ASI 1600MMpro gekühlte CMOS Kamera. LRGB, pro Kanal 9 x 2 Minuten. Bearbeitung: DeepSkyStacker - Photoshop - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)


Der prachtvolle Kugelsternhaufen NGC 104 oder 47 Tucanae. Aufgenommen am 3. 9. 2019 am 12" Deltagraph f/3.3. ASI 1600MMpro gekühlte CMOS Kamera. LRGB, pro Kanal 10 x 1 Minute. Bearbeitung: DeepSkyStacker - Photoshop - ACDSee. (Mit Mausklick vergrößern)

So hat die "Große Leere" doch ihren Reiz. Und die beiden Magellanschen Wolken sind nicht die einzigen lohnenden Ziele in dieser scheinbar an Sehenswürdigkeiten so armen Gegend. Nahe dem galaktischen Südpol, im Sculptor und den benachbarten Gebieten, liegt eine bemerkenswerte Gruppe von Galaxien, die aufgrund ihrer "geringen" Entfernungen von 5 bis 12 Mio. Lichtjahren zu den hellsten und größten am Himmel zählen. Und dann ist da noch der Hellix-Nebel im Wassermann. Doch das sind schon wieder ganz andere Themen.

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